Komplexes Umfeld. Klare Entscheidungen.
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Was ist die richtige Fiskalpolitik für Deutschland?

17.11.2023

Deutschlands Finanzminister versucht mit allen Mitteln die Schuldenbremse einzuhalten, welche im Grundgesetz die staatliche Neuverschuldung für den Bund auf maximal 0,35% des nominellen Bruttoinlandsprodukts beschränkt (für 2022 wären das ca. 13,57 Mrd. EUR). Aufgrund der umfangreichen Investitionen hat der Bund gemäß Grundgesetz Artikel 110 die Möglichkeit ein Sondervermögen zu schaffen. Die Einrichtung solcher „Sondervermögen“ ist für die Haushaltspolitik von Bund und Ländern nicht ungewöhnlich.

In der historischen Perspektive fällt auf, dass Sondervermögen bevorzugt in Umbruch- und Krisenzeiten errichtet wurden - zuletzt nach der Finanzmarktkrise 2008/2009 sowie zu Beginn der Corona-Pandemie 2020. Außerdem soll das Bundesfinanzministerium ermächtigt werden, Kredite bis zur Höhe von 100 Milliarden EUR aufzunehmen, um die Ausgaben des aktuell geplanten „Sondervermögen Bundeswehr“ zu decken. Am 15.11.2023 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Umnutzung eines Sondervermögens nicht rechtens ist (Klage der Unionsfraktion im Bundestag, Az. 2 BvF 1/22). Hintergrund war, dass die verbliebenen Mittel (60 Mrd. EUR), welche zur Bekämpfung der Corona-Krise gedacht waren, für den sog. „Klima- und Transformationsfonds“ umgewidmet werden sollten.

Was soll mit der Schuldenbremse bewirkt werden?

Grundsätzlich ist neben der Einhaltung der Maastricht-Kriterien der Wille eine höhere Verschuldung für die nachfolgende Generation zu vermeiden. Ursprünglich verfolgt die Politik die Strategie in wirtschaftlich guten Zeiten zu sparen, um in der Lage zu sein in Phasen schwacher/ negativer Entwicklung zusätzliche Mittel zur wirtschaftlichen Förderung bereitstellen zu können oder wie Anthony Eden sagte „Jeder erwartet vom Staat Sparsamkeit im Allgemeinen und Freigiebigkeit im Besonderen“.

Welche Argumente sprechen aktuell dafür, dass Deutschland die Schuldenbremse einhalten sollte?

Finanzminister Christian Lindner zielt vor allem auf zwei Gründe ab: 

1) jegliche Neuverschuldung muss zum aktuellen Marktzins aufgenommen werden, welcher insbesondere seit 2022 massiv nach oben ging und auch in den kommenden Jahren dafür sorgen wird, dass die Zinsbelastung des Staates deutlich zunehmen wird (2023 voraussichtlich auf ca. 40 Mrd. EUR).

Abbildung 1: Zinsausgaben des Bundes (in Mrd. Euro)    Quelle: Statista, Stand: 20.10.2023
Abbildung 1: Zinsausgaben des Bundes (in Mrd. Euro)
Quelle: Statista, Stand: 20.10.2023

2) möchte der Staat die aktuell noch hohe Inflation nicht zusätzlich durch staatliche Ausgabenprogramme anheizen.

Abbildung 2: Inflationsrate Deutschland (in % ggü. Vorjahr) Quelle: BMWK Herbstprojektion 2023, Stand: 11.10.2023
Abbildung 2: Inflationsrate Deutschland (in % ggü. Vorjahr)
Quelle: BMWK Herbstprojektion 2023, Stand: 11.10.2023

Jetzt stellen sich natürlich die Fragen, welchen Einfluss die deutsche Fiskalpolitik in Europa/ der Welt hat und ob die deutsche/ europäische Inflation angebots- oder nachfragegetrieben ist? Die erste Frage kann pauschal nicht beantwortet werden, da weder Umfang noch Verwendung eines neuen fiskalpolitischen Programms bekannt sind. Aber hinsichtlich Frage 2 lässt sich sehr klar bestimmen, dass die Inflation in Deutschland im Wesentlichen angebotsgetrieben wurde. Zunächst durch die Lieferkettenproblematik in Folge der Coronakrise und im Anschluss das russische Ölembargo, welches v.a. die Energiepreise massiv anziehen ließ. Unter dem Strich muss man konstatieren, dass der erste Grund (Zinsbelastung) definitiv beachtet werden muss. Allerdings müssen die Wachstumsaussichten ebenfalls miteinbezogen werden…

Was spricht dafür, dass Deutschland die Schuldenbremse aussetzen sollte?

Der Economist tituliert wiederholt, ob Deutschland, aufgrund der schwachen Wirtschaftsdaten der kranke Mann Europas ist?

Abbildung 3: “Is Germany once again the sick man of Europe”? Quelle: The Economist, Stand: 17.08.2023
Abbildung 3: “Is Germany once again the sick man of Europe”?
Quelle: The Economist, Stand: 17.08.2023

Schaut man sich die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung an, kann man die Aussage durchaus nachvollziehen.

Abbildung 4: Entwicklung des BIP in Deutschland (in %) Quelle: BMWK Herbstprojektion 2023, Stand: 11.10.2023
Abbildung 4: Entwicklung des BIP in Deutschland (in %)
Quelle: BMWK Herbstprojektion 2023, Stand: 11.10.2023

Aufgrund der strukturellen Wettbewerbsnachteile (v.a. gegenüber den USA und China) ausgelöst durch deutlich höhere Energiekosten und geringeren staatlichen Subventionen, sieht auch der Ausblick ernüchternd aus. Demzufolge bedarf es zum Erhalt des Wohlstandes fiskalpolitische Anreize, die sich vor allem auf private Investitionen und Nachfrageimpulse fokussieren. Zudem gibt es momentan massive strukturelle Veränderungen, die hohe Investitionen benötigen. Zu nennen sind hier die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien; das 2% NATO Ziel für Militärausgaben, welches mindestens notwendig wird, um seinen Verpflichtungen (Selbstverteidigung) nachzukommen und die Verringerung von Abhängigkeiten (z.B. der Chip- und Energieindustrie). Das sogenannte „home-/ friend-shoring“ ist ebenfalls mit höheren Aufwendungen verbunden. Ein weiteres Argument geht darauf zurück, dass Deutschland die fiskalpolitische Souveränität sukzessive abgeben muss. Im Rahmen einer Fiskalunion wurde bereits der „NextGenerationEU“ (NGEU) Aufbauplan begeben, der unter dem Mantel vergemeinschafteter Schulden operiert. Mit Blick auf die Verschuldungsniveaus anderer europäischer Länder wird das wohl nur der Beginn sein, bei dem am Ende die „finanzstarken“ Länder wie Deutschland das Gros der Gemeinschaftsschulden tragen müssen. Abschließend wird sich in Deutschland in den nächsten Jahren der demographische Wandel massiv auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auswirken, welche ohne qualifizierte Zuwanderung deutlich zurückgehen wird und den akuten Fachkräftemangel verstärkt.

Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, um Deutschland wieder zu wirtschaftlicher Stärke zu verhelfen?

  •  Abschaffung der Schuldenbremse. Allerding bedarf es einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat, wofür die Koalition nicht genügend Stimmen hätte.
  • Ein neues Sondervermögen. Dieses könnte explizit als „Klima- und Transformationsfonds“ verwendet werden.
  • Steuererhöhung & Ausgabenkürzung. Die Regierung müsste Steuern erhöhen und weitreichende Einsparungen vornehmen, damit genügend Mittel für gezielte wirtschaftsfördernde Maßnahmen zur Verfügung stehen könnten (Stichwort: Wachstums-Chancen-Gesetz).
Es wird keine leichte Lösung geben, aber die Argumente für fiskalpolitische Anreize überwiegen, zumal man darf nicht vergessen, dass ein leicht höheres Inflationsniveau aus Sicht des Staates nicht unbedingt negativ zu sehen ist (Stichworte: Steuermehreinnahmen und Financial Repression).

Wir freuen uns über Diskussionen und stehen für Rückfragen zu detaillierteren Einschätzungen gerne zur Verfügung.

Was ist die richtige Fiskalpolitik für Deutschland?

Krennmayer, Jochen

Fondsmanagement- Partner, Senior Fondsmanager

 

Quellenverzeichnis