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Künstliche Intelligenz - Revolution der Evolution

08.08.2023

„Homo Sapiens conquered the world - thanks above all to its unique language.“ - Yuval Noah Harari, Sapiens: A Brief History of Humankind

Laut dem Historiker Harari ist die Sprache unser Schlüssel zum Erfolg in der Evolutionsgeschichte. Als Produkt der Kognitiven Revolution, die sich vor rund 70.000 Jahren zutrug, befähigt uns die Sprache, abstrakte Gedanken zu fassen und sie anderen kundzutun. Auf diese Weise können wir Ideen austauschen und voneinander lernen, Neues erschaffen und uns dadurch stetig weiterentwickeln - was uns als menschliche Intelligenz gegenüber anderen Spezies überlegen macht. Jedoch wird nun einer anderen Form von Intelligenz nachgesagt, sich ebenfalls unserer Sprache bedienen und dadurch - sogar effizienter als der Mensch selbst - Neues erschaffen zu können: die generative Künstliche Intelligenz (KI). Damit soll sie eine Revolution der Evolution angestoßen haben.


Die Auswirkungen dieser Revolution auf die Menschheit in vollem Umfang zu evaluieren gehört wahrscheinlich eher zu den Kernkompetenzen der Philosophen. Als Asset Manager möchten wir in unserem Artikel „Künstliche Intelligenz - Revolution der Evolution“ dennoch auf die Chancen und Risiken eingehen, die diese Technologie mit sich bringt, die makroökonomischen Konsequenzen beleuchten und mögliche Investmentopportunitäten herausarbeiten. Beginnen wir aber zunächst mit einer kurzen Einleitung in die generative KI.

 
Zwar ist KI aktuell in aller Munde, sie hat ihren Ursprung jedoch schon viel früher. Das tatsächliche Geburtsdatum der KI als ein eigenständiges wissenschaftliches Fachgebiet wird auf eine Konferenz im Jahr 1956 am „Dartmouth College“ in New Hampshire (USA) zurückgeführt. Dort legten die Konferenzteilnehmer John McCarthy, Marvin Minsky, Allen Newell und Herbert A. Simon den Grundstein für die zukünftige Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. Die Forschungsarbeiten aus den 50er Jahren finden bis heute Anwendung, wie beispielsweise die Arbeit des britischen Mathematikers und Logikers Alan Turing. Der nach ihm benannte Turing-Test, gilt auch nach wie vor als Maßstab dafür, ob eine Maschine als intelligent gelten kann oder nicht. Nach einer langen Phase der Stagnation, die hauptsächlich fehlender Rechenkapazität geschuldet war, erlebte die KI in den vergangenen Monaten einen beispiellosen Aufschwung, angetrieben durch Fortschritte in den Bereichen maschinelles Lernen, Datenverarbeitung und Computerhardware. Die neue generative KI, welche in der Lage ist unsere Sprache mittels „Large Language Models“ (LLMs) zu verstehen, wurde vor allem durch OpenAI mit „ChatGPT“ bekannt. „ChatGPT“ benötigte gerade einmal 2 Monate um 100 Millionen Nutzer zu gewinnen und war damit deutlich schneller, als alle bisherige Anwendungen:

Abbildung 1: Wachstumsvergleich diverser Anwendungen- Zeitraum in Monaten bis zur Erreichung von 100Mio Nutzern
Abbildung 1: Wachstumsvergleich diverser Anwendungen- Zeitraum in Monaten bis zur Erreichung von 100Mio Nutzern

Neben „ChatGPT“ sind u.a. folgende AI-Tools zu nennen:

• „Bart“, der Chatbot von Google;
• „DALL-E“, welche Bilder aus Textbeschreibungen generiert;
• „Mindjourney“, der KI-Kunstgenerator und
• das deutsche Start-Up Aleph Alpha, welches ein KI-Sprachmodell namens „Luminous“ entwickelt hat.

Die sog. „Transformer Modelle“ sind in der Lage, die Arbeitsproduktivität deutlich zu steigern. Dabei kommt die Technologie in zahlreichen Bereichen (Gesundheitswesen, Sicherheit & Überwachung, Finanzdienstleistungen, Autonomes Fahren, Einzelhandel, Bildung, Marketing & Design, aber auch in der Kunst) zum Einsatz und kann die menschliche Intelligenz in vielerlei Hinsicht ergänzen. Das Bank of America (BofA) Research Investment Committee geht in den kommenden Jahren davon aus, dass die Produktivitätsgewinne ein ähnliches Ausmaß annehmen könnten, wie die breite Nutzung der Elektrizität oder der Computer.

Abbildung 2: Steigerung der Arbeitsproduktivität durch den technologischen Wandel- Produktivitätssteigerung des US Arbeitsmarktes (5 Jahre annualisiert)
Abbildung 2: Steigerung der Arbeitsproduktivität durch den technologischen Wandel- Produktivitätssteigerung des US Arbeitsmarktes (5 Jahre annualisiert)

Auf der anderen Seite hat die KI aber auch ihre Schattenseiten. Zum einen ist der Datenschutz zu nennen, denn die KI basiert auf großen persönlichen Datenmengen, wodurch strenge Datenschutzbestimmungen erforderlich werden. Ebenso kann es zu Diskriminierung kommen, da Vorurteile in Trainingsdaten repliziert werden könnten (z.B. Schönheitsideale). Aber auch der Sicherheitsaspekt ist nicht zu vernachlässigen, da mit KI betrügerische Absichten verfolgt werden könnten (Stichwort: Deepfakes). Die EU gilt dabei als Vorreiter der Regulierungsbemühungen und hat bereits im April 2021 einen Vorschlag für eine Verordnung über künstliche Intelligenz veröffentlicht, die als erster rechtlicher Rahmen ihrer Art weltweit gilt. Diese Verordnung legt Anforderungen an Anbieter und Nutzer von KI-Systemen fest, um sicherzustellen, dass sie in einer Weise verwendet werden, die die Grundrechte und Sicherheit der Menschen respektiert. Neben den oben genannten Sorgen spielt auch das Thema des Arbeitsplatzverlustes eine wichtige Rolle. Insbesondere Routineaufgaben (u.a. Kundendienst, Buchhaltung etc.) könnten der Automatisierung zum Opfer fallen und gesellschaftliche Konflikte hervorrufen. Demzufolge möchten wir mögliche Produktionsgewinne den Risiken am Arbeitsmarkt gegenüberstellen und die makroökonomischen Implikationen beleuchten.

Die Arbeitsproduktivität kann durch KI-Anwendungen laut Goldman Sachs Ökonom Joseph Briggs um 1,5% über eine 10-Jahresperiode gesteigert werden. Beispielsweise können Programmierer 15%-20% ihrer benötigten Zeit einsparen und damit ebenso zur Steigerung der Arbeitsproduktivität beitragen, wie die Industrie, die ihre Ressourcen besser planen kann oder smarte Energiesysteme, die in der Lage sind den Verbrauch zu reduzieren:

Abbildung 3: KI volkswirtschaftlicher Einfluss- Kumulativer Wachstumsschub zwischen heute und 2030 (verteilt auf acht Dimensionen)
Abbildung 3: KI volkswirtschaftlicher Einfluss- Kumulativer Wachstumsschub zwischen heute und 2030 (verteilt auf acht Dimensionen)

In der Summe rechnen Wirtschaftswissenschaftler wie Ökonom Südekum damit, dass KI großes Potenzial hat, die Produktivität der Volkswirtschaften weltweit zu erhöhen: „Erste Projektionen deuten darauf hin, dass KI zu massivem Produktivitätswachstum führen wird“. Langfristig erwartet er, dass das Wirtschaftswachstum zusätzlich um sieben Prozent erhöhen wird. Dies hat natürlich zur Folge, dass eine Vielzahl von Arbeiten ersetzt werden könnten. Goldman Sachs schätzt, dass in Europa 24% der Arbeit durch Anwendung der KI automatisiert werden kann (global ca. 18%):

Abbildung 4: Automatisierungspotenzial diverser Arbeitsbereiche (in %)- ungefähr ein Viertel der Arbeitsaufgaben können über alle Industriebreiche hinweg durch KI automatisiert werden
Abbildung 4: Automatisierungspotenzial diverser Arbeitsbereiche (in %)- ungefähr ein Viertel der Arbeitsaufgaben können über alle Industriebreiche hinweg durch KI automatisiert werden

Auf der anderen Seite schafft der technologische Wandel zahlreiche neue Arbeitsstellen. Beispielsweise arbeiten heute ca. 40% in Jobs, größtenteils in technologischen Arbeitspositionen, die in 1940 noch gar nicht existierten. Gerade für Deutschland bietet die Steigerung der Arbeitsproduktivität auch eine große Chance. Aufgrund des demographischen Wandels wird das deutsche Wachstumspotenzial in den kommenden Jahren erheblich schrumpfen. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gehen dem deutschen Arbeitsmarkt bis 2035 allein durch die älter werdende Bevölkerung sieben Millionen Arbeitskräfte verloren. Wo immer möglich, sollten Lücken des Fachkräftemangels auch durch KI geschlossen werden. Optimisten sehen zudem Chancen in der Automatisierung von Routineaufgaben, die Arbeitnehmern Kapazität für produktivere Aufgaben verschafft. Dennoch werden die Diskussionen rund um das bedingungslose Grundeinkommen mit zunehmender Automatisierung unseres Erachtens an Fahrt gewinnen.

Nachdem die potenziellen makroökonomischen Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz genauer beleuchtet wurden, stellt sich nun die Frage, wie genau die einzelnen Wirtschaftssektoren von den Neuerungen betroffen sein könnten. Grundsätzlich birgt die Künstliche Intelligenz sicherlich das Potenzial, einige Sektoren grundlegend verändern zu können. Besonders betroffen sollten hierbei Sektoren sein, die einerseits ein hohes Automatisierungspotenzial aufweisen und gleichzeitig mit hohen Personalkosten zu kämpfen haben. Schließlich ergibt sich aus der Kombination dieser beiden Charakteristika ein erhebliches Potenzial für Produktivitätssteigerungen, von welchem die, zum jeweiligen Sektor gehörenden, Unternehmen profitieren sollten. Des Weiteren bietet die KI Unternehmen in vielen Sektoren das Potenzial, die allgemeine Innovationskraft zu erhöhen, wodurch neuartige Produkte und Dienstleistungen schneller auf den Markt kommen könnten. Abhängig von der Länge der sektoralen Produktzyklen, dem Kundeninteresse und den jeweiligen regulatorischen Rahmenbedingungen bietet sich dementsprechend für Unternehmen, gerade in „innovationsstärkeren“ Sektoren, die Chance, bei Umsatz- und Gewinn (deutlich) zuzulegen:

Abbildung 5: Sektoraler Einfluss der KI- aufgeteilt nach Umsatzpotential, Kosten-Einsparpotenzial und Wettbewerbsrisiko
Abbildung 5: Sektoraler Einfluss der KI- aufgeteilt nach Umsatzpotential, Kosten-Einsparpotenzial und Wettbewerbsrisiko

Ein Bereich, in welchem die KI vielseitige Möglichkeiten bieten sollte, ist sicherlich der Software-Sektor. Profitieren könnte hierbei unter anderem die Software-Entwicklung selbst. So können dank KI-gestützten Tools wie GitHub Copilot beispielsweise Kollaborationsprozesse unter Entwicklern optimiert und die Code-Qualität an sich verbessert werden, indem die KI automatisierte Tests durchführt. Eine Subkategorie, welche im Software-Sektor, aber genauso in nahezu allen anderen Sektoren von KI-Anwendungen profitieren sollte, ist der Vertrieb. Hier kann die KI, insbesondere im Customer Relationship Management (CRM) wertvolle Unterstützung bieten, unter anderem indem sie Kundendaten analysiert oder personalisierte Verkaufsstrategien konzipiert. Darüber hinaus dürfte der Software-Sektor mit seinen zahlreichen Innovationen, besonders im Bereich der KI, den Mehrwert seiner Produkte und Dienstleistungen deutlich erhöhen und damit unter Umständen neue Kunden gewinnen oder höhere Preise durchsetzen können. Ein Beispiel hierfür ist womöglich „Firefly“, ein sogenannter KI-Kunstgenerator von Adobe, welcher Sprachbefehle in grafische Darstellungen umwandeln und seinen Nutzern, in diesem Fall vor allem Grafikdesignern, damit zur deutlichen Zeitersparnis verhelfen kann. Doch auch außerhalb des Software-Bereichs bietet die KI erhebliches Potenzial für Wachstumsimpulse. So dürften sich Chiphersteller, im Besonderen die Halbleiterunternehmen mit KI-Exposure, zu einem Nutznießer des KI-Booms entwickeln, da sie den großen Betreibern von LLMs, beziehungsweise deren Datencentern die, für KI notwendige, immense Rechenleistung ermöglichen. Im Detail profitieren hierbei gerade Hersteller von sogenannte „Graphic Processing Units“, kurz GPUs oder Grafik-Prozessoren, welche es ermöglichen, große Datenmengen schnell zu verarbeiten. Besonders nachgefragt ist hierbei gerade der für maschinelles Lernen optimierte H100 GPU von NVIDIA, welcher dem Chiphersteller einen deutlichen Wachstumsschub verleihen sollte.

Weitere hilfreiche Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz bieten sich darüber hinaus auch im Gesundheitssektor, unter anderem in der Bildgebung. In diesem Bereich wenden führende Unternehmen, wie beispielsweise Siemens Healthineers, bereits seit geraumer Zeit KI an, um die Qualität beziehungsweise die Treffsicherheit ihrer Systeme weiter zu erhöhen oder um die Patientenerfahrung, etwa durch eine geringere Lärmbelastung, zu verbessern. Allerdings werden nicht alle Wirtschaftssektoren ausschließlich positive Effekte von den KI-Neuerungen verspüren. So dürfte der Banken-Sektor mit seinen teilweise automatisierbaren Arbeitsfeldern zwar erhebliches Produktivitätspotenzial bieten, gleichzeitig aber unter einer womöglich noch strengeren Regulatorik und einer unter Umständen deutlich schnelleren Einlagenfluktuation leiden. Dementsprechend wäre es aktuell zu früh, um den Banken-Sektor aufgrund seines Produktivitätspotenzials und potenziellen Verbesserungen im Risikomanagement zu den KI-Profiteuren zu zählen:

Abbildung 6: Steigerung der Arbeitsproduktivität nach Sektor- dargestellt in Form der Arbeitskosten (in % vom Umsatz) und das mögliche Einsparpotenzial (in %)
Abbildung 6: Steigerung der Arbeitsproduktivität nach Sektor- dargestellt in Form der Arbeitskosten (in % vom Umsatz) und das mögliche Einsparpotenzial (in %)

In Summe werden nicht nur die Unternehmen profitieren, die das höchste Einsparpotenzial haben, sondern auch die, denen die größten Datenmengen zur Verfügung stehen und diese regulatorisch auch nutzen dürfen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die rasante Entwicklung und der weitreichende Einfluss der generativen KI durchaus den Charakter einer Revolution tragen. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass diese Veränderungen nicht ausschließlich positive Aspekte mit sich bringen. Entstehende arbeitspolitische und ethische Kontroversen unterstreichen die Wichtigkeit eines klaren gesellschaftlichen Regelwerks. Trotz dieser Herausforderung ebnet die generative KI bisher undenkbare Wege und birgt das Potential, unser Leben und unsere Gesellschaft in vielfältiger Weise positiv zu revolutionieren.

Kaum ein anderes Thema bringt derzeit so viel Diskussionspotenzial mit. Wir freuen uns auf bereichernde Diskussionen.

Künstliche Intelligenz - Revolution der Evolution

Krennmayer, Jochen

Fondsmanagement- Partner, Senior Fondsmanager

Künstliche Intelligenz - Revolution der Evolution

Potocki, Nicole

Fondsmanagement- Analystin