Komplexes Umfeld. Klare Entscheidungen.
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Heute Corona, morgen Inflation? - Wie sich Anleiheinvestoren schützen können

10.11.2020

Die Coronakrise führte sowohl auf der geld- wie auch auf der fiskalpolitischen Seite global zu Rettungs- und Stabilisierungspaketen bisher ungesehenen Ausmaßes. Der IWF schätzt, dass Regierungen rund um den Globus bereits mehr als sieben Billionen USD im Rahmen fiskalpolitischer Rettungsmaßnahmen mobilisiert haben. Blickt man auf die geldpolitischen Reaktionen der großen Zentralbanken, so stehen deren Maßnahmen im Hinblick auf schwindelerregende Volumina in nichts nach. Die Schlagzeilen werden beherrscht von Stichworten wie Rezession, Ölpreisrückgang, Stellenabbau und Steuerausfall. Doch ein Thema - welches noch vor der Krise insbesondere angesichts der globalen geldpolitischen Trends in aller Munde war - scheint derzeit weitgehend unter den Covid19-Teppich gekehrt worden zu sein: die Sorge um Inflation. Nach Jahrzenten rückläufiger Zinsen und auf tiefem Niveau verankerter Inflationsraten scheint die Sorge um Preisauftrieb derzeit auch nicht wirklich gerechtfertigt…oder etwa doch?

Um auf diese Frage näher einzugehen lohnt zunächst der Blick auf den Status Quo in Sachen Inflation. Die nachfolgende Abbildung zeigt die Inflationsentwicklungen in der Eurozone sowie den USA. Dabei wird jeweils zwischen der sog. Headline-Inflation sowie der Kerninflation unterschieden.

Abbildung 1: Entwicklung der Inflationsraten in der Eurozone sowie in den USA

Stand: 09.11.2020  |  Quelle: EUROSTAT, FED St. Louis, Tresides
Stand: 09.11.2020 | Quelle: EUROSTAT, FED St. Louis, Tresides

Die Grafik zeigt, dass sowohl unter Berücksichtigung der grds. volatilen Energie - und Lebensmittelpreise (Headline-Inflation; jew. durchgezogene Linie) als auch bei den Kerninflationen (jew. punktierte Linie) in der Eurozone starke Rückgänge zu verzeichnen sind. Jenseits des Atlantiks hingegen zeigen sich seit dem Frühsommer wieder steigende Preisraten. Sicherlich gilt es hier zu berücksichtigen, dass es bei der bspw. durch die europäische Statistikbehörde EUROSTAT angewandten Erhebungsmethode mittels Warenkorb derzeit zu erheblichen Verzerrungen kommt. Die Messung der Preisentwicklung für in Corona-Zeiten quasi nicht vorhandene Kultur- und Freizeitangebote sowie Hotel- und Restaurantbesuche seien hier beispielhaft erwähnt.

Dennoch: ausgehend vom Status Quo zeigt sich auch die Erwartung steigender Preise für die hoffentlich bald Corona-freie Zukunft bei der Breite der Marktteilnehmer stark gedämpft, wenngleich auch diese insbesondere in den USA seit dem Frühsommer leicht angezogen hat. Zur Messung dieser Erwartungshaltung wird sich regelmäßig auch durch Zentralbanken der in Abbildung 2 dargestellten sog. „Inflation-Swaps“ bedient.

Abbildung 2: Entwicklung des 5J-5J-Inflationswapsatzes in den USA

Stand: 09.11.2020  |  Quelle: FED St. Louis, Tresides
Stand: 09.11.2020 | Quelle: FED St. Louis, Tresides

Inflationswaps sind grundsätzlich Swapgeschäfte, bei welchen zwei Parteien Zahlungen austauschen, vergleichbar einem klassischen Zinsswap. Dabei entrichtet die Partei, welche sich gegen ein steigendes Preisniveau absichern möchte, Zahlungen in Höhe eines fixen Zinssatzes an die Gegenpartei und erhält von dieser dafür Zahlungsströme, die sich an der Entwicklung eines vorab definierten Inflationsindex (bspw. HVPI in der Eurozone) orientieren. Bei den hier abgebildeten Instrumenten handelt es sich fernerhin um eine besondere Art der Inflationswaps, nämlich um sogenannte Forward-Inflationswaps. Sie bilden die Markterwartung der durchschnittlichen Inflationsrate in fünf Jahren für ab dann weitere fünf Jahre ab.¹   

Soweit so gut. Offenbar deuten weder die aktuellen Inflationszahlen noch die entsprechenden Erwartungsbarometer auf ein stark steigendes Preisniveau hin. Warum lohnt es also trotzdem, sich über Inflation Gedanken zu machen? Woher soll sie kommen?

Auf der Suche nach potentiellen Inflationsherden stößt man unweigerlich auf die derzeitige Krise bzw. deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Nach Jahrzehnten rasant zunehmender Globalisierung, also regem und zunehmend barrierefreiem Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Humankapital, könnte Corona hier für eine Kehrtwende oder zumindest eine spürbare Zäsur sorgen. So haben die Erfahrungen mit plötzlich zusammenbrechenden Lieferketten im Frühjahr 2020, verursacht durch Reisebeschränkungen und Lockdowns, ihre Spuren hinterlassen. Um drohender und inflationsfördernder Angebotsknappheit künftig entgegen zu wirken, könnten Unternehmen daher gezwungen sein, Produktionsprozesse stärker zu zentralisieren und Lieferketten geografisch zu verkürzen. Die gelebte Theorie der globalen Arbeitsteilung scheint also einer großen Gefahr ausgesetzt zu sein: dem Trend zur Deglobalisierung. Bereits vor Covid19 vorherrschende und nach wie vor anhaltende Handelskonflikte - man denke nur an die USA und China - könnten einen derartigen Trend ebenso weiter befeuern, wie zunehmend nationalere politische Ausrichtungen vieler mächtiger Volkswirtschaften. Und dann wäre da noch das große Fragezeichen über der Entwicklung der Wettbewerbsintensität. Die global Einzug haltende Rezession dürfte zu einem Anstieg der Anzahl an Insolvenzen führen. Je nach Intensität der Rezession könnte es dadurch in manchen Wirtschaftszweigen zu einem Rückgang an Wettbewerbern und damit zu einer Konzentration der Preismacht auf weniger Unternehmen kommen. Die Tatsache, dass die geldpolitischen Maßnahmen des letzten Jahrzehnts als nicht unbedingt inflationshemmend anzusehen sind, sei der Vollständigkeit halber ebenfalls angeführt.

Sicherlich führt all dies nicht gleich morgen zu mehrheitlich steigenden Preisen. Überhaupt hängt der Einfluss dieser Gegebenheiten auf die Inflation von verschiedenen Faktoren ab. So ist bspw. noch nicht abzuschätzen, inwieweit ein potentieller Nachfragerückgang auf der Konsumseite - u.a. bedingt durch die derzeitige Situation an den Arbeitsmärkten - drohende Angebotseinschränkungen abfedern könnte.

Nichtsdestotrotz stellt sich aus dem Blickwinkel der Kapitalanlage die Frage, wie die Berücksichtigung eines gewissen Inflationsschutzes im Portfolio umgesetzt werden könnte. Die folgenden Ausführungen fokussieren sich dabei auf Instrumente des Anleiheuniversums. Auf das Verhalten von Sachwerten oder Eigenkapitalinstrumenten im Inflationsumfeld wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Auch wird auf derivative Instrumente, wie die oben aufgeführten Inflationsswaps, nicht weiter eingegangen. Im Bereich verzinslicher Wertpapiere lässt sich die Investitionsmöglichkeit in zwei Gruppen einteilen, nämlich in solche, die einen direkten Schutz vor Inflation bieten und solche, deren Wertentwicklung indirekt von einem steigenden Preisniveau beeinflusst wird. Bei letzterer Gruppe steht dabei die Frage im Mittelpunkt, wie - oder besser in welchem Laufzeitbereich der Kurve - die Inflation Einfluss auf die Zinsentwicklung nimmt. Folgt die eigene Erwartungshaltung der Annahme, dass steigende Preise zu einem Anstieg der Zinsen im längeren Laufzeitbereich führen, so stellen sog. „Kapitalmarktfloater“ ein probates Mittel zur Portfoliobeimischung dar. Es handelt sich dabei um variabel verzinste Anleihen, deren Verzinsung entgegen ihrem etwas populären Pendant - dem „Geldmarktfloater“ - nicht von Geldmarktzinssätzen wie dem Drei- oder Sechs-Monats-Euribor abhängt, sondern an die Zinsentwicklung des Kapitalmarkts gekoppelt ist. Als Referenzzinssatz kommen hier häufig der fünf-, zehn- oder gar zwanzigjährige Swapsatz des entsprechenden Währungsraums zum Einsatz. Auf Basis dessen, wird die Verzinsung eines solchen Floaters in einem festgelegten Turnus (bspw. halbjährlich) neu festgesetzt. Durch dieses Vorgehen lässt sich auch die häufig synonym verwendete Bezeichnung „CMS-Floater“ („Constant-Maturity-Swap-Floater“) erklären. Ist man entgegen vieler in der derzeitigen geldpolitischen Ausrichtung begründeter Einwände der Meinung, dass ein steigendes Preisniveau zu steigenden Zinsen im kurzen Laufzeitbereich führt, so stellen die oben bereits erwähnten „Geldmarktfloater“ mit ihrer Bindung an den kurzfristigen Zinsmarkt das Mittel der Wahl dar. Ein Anstieg des Referenzzinssatzes, bspw. des Sechs-Monats-Euribors, führt bei diesen Instrumenten im Rahmen des Zinsanpassungszyklus zu einem Anstieg der Verzinsung.

Beiden Anleihetypen ist gemein, dass bei der Investition unter Inflationsaspekten eine bestimmte Transmission der Preisentwicklung auf die Zinsseite unterstellt und erwartet werden muss. Eine wesentlich direktere Möglichkeit, an einem Anstieg des Preisniveaus zu partizipieren, stellt die Investition in eine sog. „inflationsindexierte Anleihe“ (auch „Inflation-Linker“) dar. Dabei handelt es sich um Anleihen, bei welchen - je nach Ausgestaltung - nur die Verzinsung oder zusätzlich der Nominalwert von der Entwicklung eines Verbraucherpreisindex abhängt. Es ist hier bei europäischen Emittenten Usance, einen auf europäischer Ebene einheitlich berechneten, „harmonisierten“ Verbraucherpreisindex heranzuziehen und diesen um die Tabakkomponente zu bereinigen („HVPI ex Tobacco“). Die gängigste Modalität für diese Art von Anleihen lässt sich als multiplikative Vorgehensweise umschreiben und wird meist von Staaten als Emittenten angewandt. Dabei wirkt sich die Inflationsindexentwicklung neben der Verzinsung auch auf den Rückzahlungsbetrag der Anleihe aus. Derartige Inflation-Linker sind zunächst mit einem Kupon ausgestattet, welcher als realer Kupon bezeichnet werden kann. Dieser wird nach Ablauf einer Zinsperiode - oft jährlich - mit einem Indexierungsfaktor multipliziert. Dieser Faktor bildet die Veränderung des zugrundeliegenden Verbraucherpreisindex in der abgelaufenen Zinsperiode ab. Somit lässt sich der eigentliche, nominale Kupon der Anleihe stets erst im Nachgang der entsprechenden Zinsperiode bestimmen. Im Folgenden sei exemplarisch die Kuponberechnung nach der ersten Zinsperiode dargestellt:

Nominal-KuponZinsperiode¹ = Real-KuponEmission x (HVPIZinsperiode¹ / HVPIEmission)

Wie bereits angedeutet, wirkt sich beim multiplikativen Verfahren die Kopplung an einen Index nicht nur beim Kupon sondern auch beim Rückzahlungsbetrag aus, da dieser nach folgender Vorgehensweise ebenfalls um die Preisentwicklung während der Anleihelaufzeit angepasst wird:

Rückzahlungsbetrag = Emissionsbetrag x (HVPIFälligkeit/ HVPIEmission)

Somit spiegelt sich bei diesem Verfahren ein höheres Preisniveau sowohl in einer um diese Teuerung angepasste Verzinsung als auch in einem entsprechend höheren Tilgungsbetrag wider. Gängige Beispiele für derartige Anleihen sind inflationsindexierte Bundesanleihen, Anleihen des französischen, des italienischen oder spanischen Staates sowie der USA. Jeder Emittent geht dabei - vor allem bei Berechnungsparametern wie dem Index, der Zinsperiode oder etwaigen Deflationsschutzmechanismen („Floors“) - unterschiedlich vor, was es zu beachten gilt. Überdies sollte vor der Investition eine genauere Analyse der gängigen und oben beschriebenen technischen Widrigkeiten bei der HVPI-Berechnung im derzeitigen Covid19-Umfeld sowie auf allgemeine Herausforderungen in der täglichen Preisstellung solcher Anleihen aufgrund der zeitlich nachgelagerten Verfügbarkeit von Indexdaten erfolgen.

Eine zentrale Frage ist bis hierher unbeantwortet: Wann lohnen sich derartige inflationsindexierte Anleihen? Losgelöst von der Tatsache, dass ein Investment nur bei erwartetem Inflationsanstieg Sinn macht, zielt diese Frage im Spezielleren auf die genaue Höhe der einzutretenden Inflation ab, also darauf, ab welcher sich die Investition in einen Inflation-Linker - verglichen mit einer nicht indexierten Anleihen mit ansonsten gleicher Ausgestaltung - lohnt. Eben diese Inflationsrate, ab welcher die Gewinnzone im Vergleich zur herkömmlichen Anliehe erreicht wird, wird als „Breakeven“-Inflationsrate bezeichnet und ist wesentlicher Teil der Antwort zur oben beschriebenen Frage. Aus Anlegersicht formuliert, herrscht eine renditeseitige Indifferenz zwischen herkömmlicher, also nicht indexierter und inflationsindexierter Anleihe, wenn über die Restlaufzeit der Anleihe eine durchschnittliche Preiserhöhung in Höhe der Breakeven-Inflationsrate erwartet wird. Geht man jedoch von einem über dieser Rate liegenden Preisniveauanstieg aus, so lohnt das Investment im Vergleich zur Normalanleihe. Ohne an dieser Stelle in finanzmathematische Tiefen zu entschwinden, lässt sich die Breakeven-Inflation formal näherungsweise wie folgt formell beschreiben² :

Breakeven-Inflationsrate = Renditenominal, nicht indexiert - Renditereal, inflationsindexiert

Die folgende Abbildung zeigt die aktuellen Breakeven-Inflationsraten verschiedener Staatsanleihen mit fünf- sowie zehnjähriger Restlaufzeit.

Abbildung 3: Breakeven-Inflationsraten ausgewählter Staatsanleihemärkte

Stand: 09.11.2020  |  Quelle:Tresides
Stand: 09.11.2020 | Quelle:Tresides

Die Art und Weise der Herleitung dieser Inflationsraten macht die Breakeven-Inflation ebenfalls zu einem Maß für die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer. Demnach lässt sich aus Abbildung 3 schließen, dass sich weder in Europa noch in den USA echte Inflationsangst breit macht. Lediglich die britischen Breakeven-Sätze weisen auf ein gewisses Inflationsbewusstsein der Marktteilnehmer hin. 
Neben ihren jeweiligen Spezifika weisen alle drei hier vorgestellten Anleihearten die für die Anlageklasse typischen Chancen und Risiken auf. Neben allgemeinen Emittentenrisiken, wie sie bei jeder Anleihe in unterschiedlicher Ausprägung vorherrschen, sei hier insbesondere die Herausforderung geringer Sekundärmarktliquidität erwähnt, wobei inflationsindexierte Staatsanleihen unter den hier behandelten als am fungibelsten betrachtet werden können. 
Bezugnehmend auf die einleitenden Worte lässt sich sagen, dass die Sorge um Inflation derzeit sicherlich durch etliche Faktoren und Ungewissheiten geschmälert wird - ungerechtfertigt ist sie jedoch insbesondere im Hinblick auf die Ausrichtung der Kapitalanlage für die kommende Nach-Covid19-Zeit keinesfalls!


¹ An dieser Stelle soll nicht weiter auf Inflationswaps und deren Besonderheiten eingegangen werden. Hierfür sei auf weiterführende Literatur verwiesen (bspw. auf "Inflation Expectations, Real Rates, and Risk Premia: Evidence from Inflation Swaps"; Haubrich et al.; 2011)

² Sollte hier und da dennoch der Wunsch des Entschwindens in finanzmathematische Tiefen erwachen, so sei an dieser Stelle weiterführend bspw. auf Schriften des US-Ökonoms Irving Fisher zu Inflation als Bestandteil von Nominalrenditen verwiesen.


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