10.03.2025
Man könnte die deutsche Fiskalpolitik mit dem Ketchup-Effekt umschreiben: „erst passiert lange Zeit gar nichts, dann kommt alles auf einmal“.
Die Ampelregierung wurde am 23.02.2025 abgewählt, seitdem laufen Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU (28,52% der Zweitstimmen) und der SPD (16,41% der Zweitstimmen), welche rein rechnerisch im neuen Bundestag die Mehrheit haben würden (328 von 630 Sitzen), allerdings auch mit den Grünen über keine 2/3 Mehrheit verfügen. Demnach könnten die Linkspartei mit der AFD jede Grundgesetzänderung blockieren (Sperrminorität). Am 28.02.2025 folgte der medial offen ausgetragene Streit zwischen US-Präsident Trump und seinem ukrainischen Kollegen Selenskyj. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde Deutschland und Europa klar, dass die militärische Unterstützung Amerikas auf wackeligen Beinen steht. Kurz darauf traten CDU und SPD vor die Presse und stellten ein umfassendes fiskalpolitisches Konzept vor, welches noch vom „alten“ Bundestag beschlossen werden soll. Somit könnte man die künftige Sperrminorität umgehen, was rechtlich wohl auch umsetzbar erscheint. Hinsichtlich des Zeitplans wird ein erster Entwurf in der Woche ab dem 10. März in den Bundestag eingebracht und soll in der Woche ab dem 17. März verabschiedet werden, da am 25. März die konstituierende Sitzung des neu gewählten Bundestages geplant ist. Die wesentlichen Punkte des Konzepts sind:
1) Alle Militärausgaben, oberhalb von 1% des deutschen BIPs werden von der Schuldenbremse ausgenommen. Damit wären unlimitierte Verteidigungsausgaben denkbar, wobei sich der Umfang auf ca. 400 Mrd. EUR belaufen soll. Daneben sollen auch die Länder die Möglichkeit erhalten, sich bis zur Schuldengrenze von 0,35% des BIPs zu verschulden.
2) Gleichzeitig stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 4. März 2025 das "ReArm Europe"-Programm zur Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten vor, welches einen Umfang von 800 Mrd. EUR (inkl. den anteiligen deutschen Verteidigungsausgaben) haben soll. Dabei werden die EU-Haushaltsregeln für diesen Betrag ausgesetzt. Dazu kommen 150 Mrd. EUR in Form von Darlehen für gemeinsame Verteidigungsprojekte, welche über die Europäische Investitionsbank vergeben werden sollen. Zudem sollen Mittel des vorhandenen EU-Fonds zur Unterstützung umgewidmet und für Verteidigungsinvestitionen herangezogen werden.
3) Darüber hinaus soll es ein weiteres Sondervermögen des Bundes im Volumen von 500 Mrd. EUR über 10 Jahre für Infrastrukturinvestitionen geben (100 Mrd. EUR davon wird den Ländern und Kommunen zur Verfügung gestellt). Zusammen mit den Verteidigungsausgaben entspricht dies einem Umfang von 20% des deutschen BIPs, was in die Richtung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) geht, welches zusammen mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) berechnet hat, dass Deutschland Investitionen von 600 Mrd. EUR für eine zukunftsfähige Wirtschaft benötigt. Der Verteilungsvorschlag wird nachfolgend dargestellt:
Aus dem Sondierungspapier geht hevor, dass das Ziel ist, das Potentialwachstum in Deutschland wieder auf deutlich über ein Prozent zu erhöhen. Zunächst stellt sich die Frage, welcher Multiplier unterstellt werden kann. Der Multipliereffekt beschreibt, inwieweit sich die Investitionen auf das jeweilige Wirtschaftswachstum auswirken. Es kann davon ausgegangen werden, dass Verteidigungsausgaben einen Multiplier von 0,3-0,6 der Investitionssumme haben. Bei Infrastrukturausgaben schwankt der Wert zwischen 0,5-1 (JP Morgan rechnet eher mit 0,75, bei den Kommunen sogar mit 1). Würde man für 400 Mrd. EUR Verteidigungsausgaben 0,45 ansetzen und für 500 Mrd. EUR Infrastrukturausgaben 0,75 käme man auf ein Wirtschaftswachstum (über 10 Jahre) von 555 Mrd. EUR bzw. 12,3% des aktuellen deutschen BIP. JP Morgan rechnet mit einem Wachstum von 1,2% in 2025 (nach -0,1% zuvor) und 1,8% in 2026 (nach 0,4% zuvor). Ähnliche Prognosen werden auch bei Goldman Sachs unterstellt, wobei sich der Effekt erst ab 2026 bemerkbar machen sollte:
Auf der anderen Seite steigt die Verschuldung über die kommenden 10 Jahre bei einem stabilen BIP um 20% an. Unterstellt man den o.g. Wachstumseffekt wird die deutsche Verschuldung von aktuell 62,5% auf ca. 80% des BIP ansteigen. Dies läge zwar deutlich über den Maastrichtkriterien von 60%, allerdings befände man sich damit immer noch unter dem EU-Durchschnitt. In Abbildung 2 werden die kommenden beiden Jahre ohne bisherige Sondervermögen dargestellt. Demnach dürfte die jährliche Neuverschuldung um ca. 2% zunehmen und somit das Netto-Emissionsvolumen des Bundes lt. JP Morgan von 45-65 Mrd. EUR auf 90-115 Mrd. EUR in 2025 erhöhen. Dies dürfte in 2026 nochmals auf ca. 130 Mrd. EUR zunehmen.
Die größte Marktreaktion war am Zinsmarkt zu sehen. Die Verzinsung 10-jähriger Bundesanleihen stieg innerhalb von zwei Tagen um ca. 40Bp auf über 2,8% an. Interessanterweise stieg der 10-jährige Swapsatz „nur“ um 30Bp auf 2,7% an und liegt damit nun deutlich unterhalb der Bundesanleihen. Dabei wird von einzelnen Marktteilnehmern der „safe haven Status“ deutscher Bundesanleihen angezweifelt. Möglicherweise ist auch vermehrt mit EU-Bonds zu rechnen, welche Teil einer größeren Fiskalunion innerhalb der Eurozone sein könnten. Auf der anderen Seite stiegen deutsche Aktien deutlich an (allen voran Titel aus dem Verteidigungs- und Bausektor). Auffällig dabei war auch, dass gerade MidCaps aus dem MDAX deutlich outperformen konnten und MDAX-ETFs starke Mittelzuflüsse verzeichnen konnten:
Auf der anderen Seite des Atlantiks zeigten sich die Rentenmärkte unbeeindruckt, weshalb sich die Zinsdifferenz zwischen den USA und Deutschland deutlich einengte und den Euro unterstützte, welcher innerhalb kürzester Zeit von 1,05$ auf über 1,08$ anstieg.
Wir haben unsere konstruktive USD-Meinung gedreht und sehen zunächst deutlichen Rückenwind für den Euro, welcher von der abnehmenden Zinsdifferenz und von Zuflüssen profitiert. Unsere Durationspositionierung in Europa haben wir vorerst beibehalten, da wir die EUR-Zinsen nach den News als fair gepreist erachten und abwarten, ob der erste Vorschlag tatsächlich vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet wird. Zweifel regen sich derzeit bei den Grünen, die gerne mehr Klimainvestments sehen möchten und bei den Linken und der AFD, die erwägen das Vorhaben rechtlich überprüfen zu lassen. Auf der Aktienseite bleibt unser Fokus auf zyklischeren Werten aus dem Industrie- und Finanzsektor bzw. auf mittelgroßen Unternehmen. Hinsichtlich weiterer Verunsicherungen rund um die US-Handelspolitik haben wir derivative Absicherungsstrategien aufgebaut, welche auch von einer weiter ansteigenden Volatilität profitieren sollten.
Fondsmanagement- Partner, Senior Fondsmanager