03.12.2021
Vierter Teil unserer mehrteiligen Serie zu Crypto Assets
An dieser Stelle war ein Artikel geplant, der sich kritisch mit dem Thema Cryptos als ESG-konforme Anlagemöglichkeit auseinandersetzen sollte. Da Cryptos aber so viel Energie wie ganze Länder verbrauchen und auch noch zur Finanzierung illegaler Aktivitäten genutzt werden könnten, kann man es kurzhalten und den Digitalen Assets in puncto ESG die Note „ungenügend“ geben… oder? Nicht ganz, denn tatsächlich könnten Cryptos nachhaltiger sein als man zunächst vermuten mag. Deswegen nun doch, eine kritische Auseinandersetzung zum Thema Cryptos und ESG. Denn in der heutigen Zeit heißt es mehr denn je: ESG, or not to be!
Im Folgenden wollen wir die drei ESG-Aspekte jeweils einzeln beleuchten:
Ein zentrales Netzwerk basiert auf dem einer dritten Instanz entgegengebrachten Vertrauen, die Richtigkeit der Transaktionen zu gewährleisten. Dezentrale, Blockchain-basierte Netzwerke gewährleisten mittels Konsensmechanismus, dass die auf der Blockchain protokollierten Transaktionen synchron und valide sind.
Die Bitcoin Blockchain basiert auf dem „Proof of Work“ - einem besonders sicheren und dadurch rechenintensiven Konsensmechanismus. Man kann darunter eine Art „Arbeits-“ oder „Leistungsnachweis“ verstehen, der von Netzwerkmitgliedern, den Minern, erbracht wird. Die Miner setzen Rechenleistung ein, und konkurrieren um die Lösung einer hochkomplexen, kryptografischen Aufgabe. Der schnellste Miner qualifiziert sich dafür, die Blockchain um ausstehende, auf einem neuen Block protokollierte Transaktionen zu erweitern. Dabei werden neue Bitcoins „geschürft“, die dem Miner als Gegenleistung für seinen Einsatz der Rechenleistung als „Block-Reward“ zustehen. Dieser Prozess - der Einsatz von Rechenleistung zur Schaffung neuer Coins - kann damit als eine Art digitales Pendant zur physischen „Leistungserbringung“ gesehen werden, die während des Schürfens von Gold erbracht werden muss.
Rechenleistung bedeutet aber nicht nur Sicherheit, sondern auch Energieverbrauch - und je größer die Rechenleistung desto größer der Energieverbrauch. Konkret bedeutet das nach Berechnungen des Bitcoin Mining Councils für Bitcoin einen jährlichen Energieverbrach von etwa 188 TWh. Wie Abbildung 1 zeigt, entspricht dies einem Anteil von etwa 0,12% des weltweiten jährlichen Energiekonsums.
Bedenkt man, dass es weltweit bereits über 100 Millionen Nutzer des Bitcoin Netzwerks gibt, ergibt sich ein relativ geringer „Pro-Kopf-Verbrauch“ von „Bitcoin-Land“. Der Energieverbrauch von Bitcoin im Sektorenvergleich ist in Abbildung 2 dargestellt und beläuft sich auf weniger als 4% des Finanzsektors. Dennoch ist der Stromverbrauch von Bitcoin mit Blick auf ESG-Kriterien nicht unerheblich und auch nicht unbedenklich.
Aber taugt der „Energieverbrauch“ per se schon als „Totschlagargument“? Für ein ESG-Ranking ist neben dem Energieverbrauch besonders die Frage nach dem Anteil nachhaltig erzeugter Energie am Verbrauch des Bitcoin Netzwerks relevant. Hier galt lange vereinfacht folgendes Narrativ: Das meiste Mining findet in China statt, China hat sehr viel Kohlestrom, ergo kann Bitcoin Mining nur schmutzig sein. Das stimmt so aber nicht mehr!
Besonders in den letzten Monaten ist der Anteil nachhaltig produzierter Energie am Gesamtverbrauch des Bitcoin Netzwerks sprunghaft gestiegen und beträgt laut Bitcoin Mining Council aktuell etwa 58%. Grund hierfür ist das im Mai 2021 in China verhängte Verbot von Cryptomining, was zur Schließung sämtlicher in China ansässigen Mining-Firmen führte. Da Mining von überall auf der Welt möglich ist, wanderten die Miner, wie Abbildung 3 zeigt, in Länder wie die USA ab und damit auch in Gebiete, die einen höheren Anteil nachhaltig erzeugter Energie aufweisen.
Wie aus der folgenden Abbildung 4 hervorgeht, beträgt der Anteil nachhaltiger Energie am durchschnittlichen, weltweiten Energieverbrauch lediglich 22%. Der Anteil nachhaltig erzeugter Energie am Energieverbrauch des Bitcoin Netzwerks liegt laut Bitcoin Mining Council bei ca. 58% und übertrifft damit sogar den Energiemix Deutschlands.
Dass der Energieverbrauch des Bitcoin-Minings nicht zwangsläufig ein Bug sein muss, sondern auch ein Feature sein kann, haben insbesondere die USA erkannt. Staaten wie Texas fördern sogar die Ansiedelung von Mining-Firmen in Gebieten mit einem hohen Anteil regenerativ erzeugter Energie oder von sogenannten „Mining Rigs“ in der Nähe von Ölfeldern. Mining Rigs sind Trailer, die aus Generatoren und Miningrechnern bestehen und für das Mining Methangas nutzen, das während der Ölförderung als „Abfallprodukt“ entsteht und abgefackelt wird.
Insbesondere Texas möchte die Erzeugung erneuerbarer Energie stark ausbauen. Staatlich geförderte Projekte zielen auf die Ansiedlung von Minern in Gegenden mit hohem Anteil regenerativ erzeugten Stromes ab, denn Miner können als „Load-Balancer“ eingesetzt werden und damit der Unzuverlässigkeit regenerativ erzeugten Stromes entgegenwirken. An sonnigen und windigen Tagen laufen die Rechner auf Volllast, dämpfen damit Stromspitzen und generieren darüber hinaus einen Ertrag. Wohingegen die Miner an Tagen mit geringer regenerativer Stromproduktion abgestellt oder zumindest mit deutlich weniger Energie versorgt werden, sodass der Strom für das Netz verfügbar ist. Auf diese Weise kann ein Stromnetz mit einem höheren Anteil regenerativer Energien gespeist werden, ohne dass es zu Stromknappheit oder Überkapazität kommt, was im schlimmsten Fall in einem Blackout resultieren könnte. Damit schneidet das Proof of Work basierte Mining von Bitcoin - trotz des hohen Energieverbrauchs - in Hinblick auf die Environment Komponente des ESG weniger schlecht ab, als oftmals vermutet.
Darüber hinaus haben sich inzwischen zahlreiche alternative Konsensmechanismen etabliert, die einen deutlich geringeren Energieverbrauch als Proof of Work aufweisen. Während auf der Bitcoin Blockchain die Rechenleistung ausschlaggebend für die Wahrscheinlichkeit ist, einen neuen Block der Blockchain hinzufügen zu dürfen, kommt es bei dem Proof of Stake Konsensmechanismus auf die Anzahl der im Wallet eines Miners befindlichen Coins an. Dabei wird der Stromverbrauch auf einen Bruchteil (<1%) des Proof of Work Verfahrens reduziert. Allerdings bevorzugt auf lange Sicht diese Art des Minings diejenigen Netzwerknutzer, die bereits einen großen Anteil der Coins besitzen, was zu einer ungewollten Konzentration auf Großinvestoren führen kann.
Inspiriert vom Pariser Klimaabkommen schlossen sich kürzlich über 200 Unternehmen aus dem Crypto-Sektor sowie aus den Bereichen Energie- und Klima zusammen, um ein „Crypto Climate Accord“ zu unterzeichnen. Die Ziele des Abkommens umfassen unter anderem einen bis 2030 rein auf erneuerbaren Energien basierenden Crypto-Sektor zu gewährleisten.
Die „Social“ bzw. soziale Komponente der ESG-Kriterien bewertet unter anderem die gesellschaftspolitischen Auswirkungen eines Unternehmens oder Investments. Die Auswirkung von Cryptos auf gesellschaftliche Strukturen ist nicht leicht messbar.
Dennoch könnte der freiheitliche Charakter der Cryptos vor allem in Ländern mit hohen Inflationsraten oder USD-Währungsbindung, sowie in Ländern, in denen ein hoher Anteil der Bürger nur wenig in das bestehende Finanzsystem eingebunden ist, einen gewinnbringenden, sozialen Beitrag leisten. Das größte Experiment in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht läuft in El Salvador. Im Sommer 2021 erklärte Präsident Bukele den Bitcoin neben dem US-Dollar zum gesetzlichen Zahlungsmittel. Um die Akzeptanz unter den Bürgern voranzutreiben, verwendete El Salvador einen Teil seiner Devisenreserven um 1120 Bitcoin zu erwerben und jeden Bürger mit einem „Startkapital“ von Bitcoins im Wert von 30 US-Dollar auszustatten.
Fast 70% der Bürger El Salvadors haben kein eigenes Bankkonto, jedoch besitzen nahezu alle ein Smartphone, was für die Nutzung von Cryptos ausreichend ist. Viele Bürger des Landes arbeiten im Ausland wie den USA und schicken regelmäßig Geldbeträge an ihre Familien zuhause in El Salvador, wofür sehr hohe Gebühren fällig werden. Das Land verspricht sich durch die Verwendung von Bitcoin eine massive Senkung der Transaktionskosten, Inklusion bisher „bankenloser“ Bürger in den Zahlungsverkehr, sowie verstärkte Investments aus dem Ausland in die Cryptoinfrastruktur des Landes.
Des Weiteren stehen Cryptos als „unregulierte“ Netzwerke häufig in der Kritik, für kriminelle Aktivitäten wie Drogenhandel oder Terrorismusfinanzierung genutzt zu werden. Studien zeigen, dass weniger als 1% der Crypto-Transaktionen mit illegalen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden können. Schätzung der UN zufolge bleibt Bargeld die Hauptfinanzierungsquelle für kriminelle Aktivitäten. Darüber hinaus bieten die meisten Cryptos in der Nachverfolgung illegaler Aktivitäten den entscheidenden Vorteil, dass jede Transaktion auf der Blockchain unwiderruflich protokolliert ist und - trotz kryptografischer Verschlüsselung - leichter zurückverfolgt werden können, als es bei Bargeld der Fall ist.
Letztlich haben Cryptos – ähnlich wie Gold – auch eine „Hygienefunktion“ (könnte man auch bei G wie Governance zuordnen) bzw. dienen Anlegern im Zeitalter der „financial repression“, also der finanziellen Repression, mit Null- und Negativzinsen auch als „Überdruckventil“. Aber auch die verschmelzende Fiskal- und Geldpolitik, inwelcher die Zentralbanken immer mehr zu willigen Handlangern von defizitären Staatshaushalten werden, ist nicht immer unbedingt im besten Interesse der Bürger. Und wenn dann bei Inflationswerten von über 5% endgültig das Vertrauen schwindet, dass die Zentralbanken ihr Mandat der Geldwertstabilität ernst nehmen, dann suchen sich Anleger alternative Formen der „Wertaufbewahrung“.
Cryptos sind dabei eben auch ein Baustein in einer diversifizierten Vermögensanlage.
Die dritte Komponente der ESG Kriterien beurteilt inwiefern das Management die Interessen der Stakeholder vertritt und gesetzeskonform handelt. Analog zu Unternehmen könnte man bei der Governance-Bewertung von Zahlungssystemen die Zentralbanken als Management verstehen. Für das Geldsystem im Ganzen könnte man erweitert auch noch die Handlungen der Regierungen in Betracht ziehen.
Ob die Zentralbanken und Regierungen immer im besten Interesse der Bürger handeln, kann unter Datenschutz- und Freiheitsaspekten hinterfragt werden. Exemplarisch seien hier die Einschränkungen von Bargeldzahlungen, die Aushöhlung des Bankgeheimnisses oder internationaler Datenaustausch genannt.
Cryptos als dezentrale Zahlungssysteme beruhen auf keiner dritten Instanz. Als eine Art „Gesetz“ oder digitales Pendant zur Geldpolitik kann der frei einsehbare Blockchain-Code verstanden werden. Änderungen in diesem Gesetz können nur demokratisch über eine Mehrheit umgesetzt werden. Dies bedeutet, dass eine Anpassung des Blockchain-Codes die Zustimmung von mindestens 51% der Miner bedarf. Das wirtschaftliche Interesse eines jeden Miners an der Wertsteigerung des Cryptos sorgt dafür, dass die Mehrheit der Miner nur einer wertsteigernden, und damit einer für das gesamte Netzwerk sinnhaften, Codeänderung zustimmen würden.
Die Tatsache, dass Blockchain-basierte Cryptos wie Bitcoin jedem offen zur Verfügung stehen und keine zwischengeschaltete Instanz die Anwender aufgrund ihres Vermögens, Religion, Geschlechts, Alters oder sonstigen Merkmalen diskriminieren kann, macht Cryptos wahrscheinlich zu dem freiheitlichsten und demokratischsten System der Welt.
Oder anders formuliert: mehr Basisdemokratie wie bei Cryptos geht nicht (mit u.U. allen damit verbundenen Nachteilen der „unterlegenen“ 49%).
Zusammenfassend kann man sagen, dass Cryptos mit einem sehr undifferenzierten und oft auch schlecht recherchierten „Energieverschwendungs-Argument“ in die ESG-Schmuddel-Ecke gestellt werden. Wenn man aber alle drei ESG-Aspekte beleuchtet, stellt sich heraus, dass Cryptos wie andere Assetklassen auch ihre Stärken und Schwächen haben. Man mag Cryptos als Assetklasse aufgrund der unterschiedlichsten Argumente ablehnen, aber „ESG“ taugt nicht als Sündenbock.
Und wie bei anderen Assetklassen auch, tut sich eine Menge im Crypto-Bereich (siehe oben).
Also: ESG, and to be!
Partner, Senior Fondsmanager
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