Komplexes Umfeld. Klare Entscheidungen.
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Oh, Mai – what happened in /dʌbljuː/tiː/aɪ/ (WTI)?

21.04.2020

- Geld fürs Öl dazu bekommen? Der negative WTI Öl Mai-2020-Kontrakt -


Alles neu, macht der Mai, zumindest beim Rohölkontrakt der Sorte WTI. Ungewohnte Schlagzeilen sorgten am 20.04.2020 für Aufregung:

Ölmarkt paradox: Preis für US-Rohöl fällt auf minus 40 Dollar – Privatanlegern drohen hohe Verluste“ (Handelsblatt, 20.04.2020); „Ölpreis zum ersten Mal in der Geschichte negativ“ (Welt, 20.04.2020) 


Zeitgleich erreichen einen die hoffentlich nicht ganz ernst gemeinten Anfragen von Kollegen, ob man beim Tanken jetzt Geld raus bekommt. Was ist passiert?
Vorab einige Informationen zur Einordnung und etwas Hintergrundwissen:
Rohöl wird zum einen physisch (Spot) gehandelt, dies ist aber nur möglich, wenn man über Lager- und/oder Raffinerien etc. verfügt. Zum anderen wird Rohöl, hauptsächlich von Investoren, an Terminmärkten gehandelt. All diese Terminkontrakte besitzen eine Fälligkeit, sodass der auslaufende Kontrakt entweder bezogen bzw. geliefert wird (dazu mehr s.u.). Wer nicht an einer physischen Belieferung interessiert ist, der wechselt vom auslaufenden Kontrakt in die nächste Fälligkeit. Dabei spricht man vom sogenannten „Rollen“ (dazu ebenfalls mehr s.u., siehe aber auch

In der Finanzwelt besitzen zwei Ölkontrakte eine globale Bedeutung - Brent und WTI (gesprochen /dʌbljuː/tiː/aɪ/). WTI steht dabei für West Texas Intermediate, eine leichte, „süße“ Rohölsorte (ebenso wie Brent). Die Hauptunterschiede liegen darin, dass Brent (sogenanntes „Nordseeöl“, benannt nach einem Ölfeld) „cash gesettelt“ wird, d.h. auslaufende Kontrakte in Geld abgerechnet werden, WTI hingegen wird „physisch gesettelt“. Das bedeutet, dass jemand, der nach dem Verfall und zu Beginn der „First Notice“ einen Long-Kontrakt besitzt, Öl in physischer Form angedient bekommen kann. Bei WTI liegt ein weiterer bedeutender Unterschied darin, dass das Öl in Cushing (Oklahoma) „gesettelt“ bzw. geliefert wird. Cushing liegt ziemlich weit weg von den Ozeanen und internationalen Märkten. Man benötigt also eine Pipeline oder ziemlich viele Tanklaster, um das Öl von dort wegzubekommen. Somit kann es natürlich auch passieren, dass im besagten Cushing die Tanks (sieht man übrigens auch auf der Karte) voll laufen (s.u.).
Aber zurück zu den Terminmärkten. Bei beiden Ölsorten unterscheiden sich auch die Verfallsdaten und Laufzeiten der einzelnen Kontrakte. So ist der Front-Month, also der als nächstes fällig werdende Kontrakt, bei Brent der Juni-2020-Kontrakt. Dieser hat am 30. April (!) 2020 seinen letzten Handelstag. Bei WTI ist für den Juni-2020-Kontrakt hingegen der „last Trade Day“ der 19. Mai 2020. Aber per heute (20. April 2020) gibt es bei WTI auch noch den Mai-2020-Kontrakt, der am 21. April 2020 ausläuft (bei Brent ist der Mai-2020-Kontrakt bereits „verfallen“). Dieser WTI Mai-2020-Kontrakt notierte im Laufe des 20. April 2020 wirklich „negativ“ und fiel auf bis zu Minus 40 USD pro Barrel. Das bedeutet, ein Long-Anleger, also jemand, der einen Kontrakt zum Bezug von Rohöl besitzt, realisiert, dass es unter Umständen sehr schwer wird, das zu empfangende Öl in Cushing zu lagern oder von dort weg zu bekommen. Dafür ist er nun bereit Geld zu bezahlen (negativer Preis), um das Öl nicht abnehmen zu müssen.

Abb1: Rohöl WTI, Front Month (Mai-2020-Kontrakt), USD/Barrel, Stand 20.04.2020, ca. 23 Uhr, Quelle: Bloomberg
Abb1: Rohöl WTI, Front Month (Mai-2020-Kontrakt), USD/Barrel, Stand 20.04.2020, ca. 23 Uhr, Quelle: Bloomberg

Dabei waren mit über 108.000 Kontrakten, was 108 Millionen Barrel (mbl) entspricht, ungewöhnlich viele Kontrakte noch offen. Zum Vergleich, im letzten Monat bzw. dem April-2020-Kontrakt, waren einen Tag vor Verfall noch ca. 18.000 Kontrakte offen. Zur weiteren Einordnung, in Cushing lagern aktuell ca. 54 mbl. Damit ist die Lagerkapazität zwar noch nicht voll ausgereizt („tank top“), aber schon ziemlich voll.

Abb2: Cushing, Lagerbestand, Stand 10.04.2020, Quelle: Bloomberg, Tresides
Abb2: Cushing, Lagerbestand, Stand 10.04.2020, Quelle: Bloomberg, Tresides

Damit stimmt der erste Teil der Aussagen, dass der Ölpreis tatsächlich negative Notierungen angenommen hat. Auch das von vielen beschriebene „Super-Contango“ trifft zu. Also eine Terminmarktkonstellation, bei der beim „Rollvorgang“ hohe Verluste entstehen. Denn ein Fonds oder sonstiger Anleger, der den Mai-2020-Kontrakt mit -40 USD/Barrel verkaufen muss und in den nächsten Kontrakt, den Juni-2020, mit ca. +21 USD/Barrel reinvestieren muss, macht kein ganz so gutes Geschäft. Der zweite Teil der oft reißerischen Überschriften, nämlich dass Privatanlegern hohe Verluste drohen, stimmt so nicht ganz. Ja, Ölanleger haben in den letzten Wochen bereits viel Geld verloren und verlieren u.U. noch mehr, aber diese Sondersituation im Mai-2020-Kontrakt dürfte den meisten Finanz- und Indexinvestoren dabei herzlich egal sein. Denn breite Finanzindices, wie bspw. der BCOM (Bloomberg Commodity Index) bzw. Finanzprodukte wie Zertifikate auf WTI, folgen eben einem bestimmten „Roll-Table“, also wann sie in welchen Kontrakt investieren. Hier lohnt ein Blick auf den BCOM-WTI-Subindex.
Der BCOM-WTI-Subindex rollte zwischen dem 7. und 14. April 2020 aus dem Mai-2020-Kontrakt in den Juli-2020-Kontrakt (der Juni-2020-Kontrakt wird übersprungen). Dabei entstanden zwar auch Rollverluste, und wahrscheinlich werden Anfang Juni beim Roll in den September-Kontrakt wieder welche entstehen, aber eben nicht in diesen apokalyptischen Dimensionen, die gerade suggeriert werden.

Abb3: WTI, Juli-2020-Kontrakt (aktuell für BCOM-Sub-Index), USD/Barrel, Stand 20.04.2020, Quelle: Bloomberg
Abb3: WTI, Juli-2020-Kontrakt (aktuell für BCOM-Sub-Index), USD/Barrel, Stand 20.04.2020, Quelle: Bloomberg

Auch stimmt die Aussage, dass man neben Öl auch Geld dazu bekommt, nur eben für Cushing, Oklahoma. Man muss es dann aber dort auch in Empfang nehmen. Und zwar schon sehr bald.
Trotzdem sollte man die Bewegung nicht leicht nehmen. Es ist ein historisches Ereignis und es zeigt (wie von uns bereits beschrieben) die extreme Situation am Ölmarkt, wo auf einen Nachfrageschock noch ein Angebotsschock folgte

Aber letzten Endes bekamen wir mit unserem in vielen Vorträgen beschriebenen Szenario Recht. Das darin skizzierte Bild von immer mehr Öl in immer weniger verfügbaren bzw. unter dem Gesichtspunkt von Lagerkosten rentablen Garagen, dem Zusammenbrechen der Kurve am vorderen Ende (siehe Abb4) und den daraus resultierenden Folgen, nämlich dass es (wenn keiner das Öl mehr haben will) nur drei Möglichkeiten gibt: verschenken, aufhören zu produzieren oder in Meer kippen . Und dabei hätte man hier noch die Probleme, dass das Meer sehr weit weg ist, und geschenkt noch zu teuer ist…
Trotzdem wird der „Preis“ in den nächsten Tagen wieder in Regionen um die 20 USD/Barrel springen. Warum ist das so? Wenn der Mai-2020-Kontrakt ausgelaufen, also verfallen ist, wird automatisch der nächste Kontrakt zum neuen „Front-Month“ (der Preis, der dann in der Zeitung steht). Und der steht per heute bei ca. 21 USD/Barrel. Die Frage ist nur, wiederholt sich das Spiel beim nächsten Verfall / Roll?

Abb4: WTI, Terminkurve, Stand 20.04.2020 und 14.04.2020, Quelle: Bloomberg
Abb4: WTI, Terminkurve, Stand 20.04.2020 und 14.04.2020, Quelle: Bloomberg

Was bedeutet das Ganze für unsere Fonds, den Tresides Commodity One (TCO) und den Tresides Total Return Commodities (TRC)?

Ein signifikanter Teil des Gesamtkonzeptes des TCO basiert darauf, in etwas länger laufende Kontrakte zu investieren. Konkret sind dies bei den meisten Energierohstoffen aktuell für das zweite Quartal 2020 die März-2021-Kontrakte. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Selektion und Gewichtung anhand der Terminkurve. Dabei hat die hohe Contango-Situation Anfang April bei der letzten Indexanpassung dazu geführt, dass Energie nur noch mit ca. 10% im Index gewichtet ist (je 5% Brent und Heizöl). Die nächste Indexneuzusammensetzung findet Anfang Juli statt.
Beim TRC steht das Rohstoff-Signal aktuell auf „Untergewichten“. Damit sind wir im Long-Short-Index und in unserem speziellen „Short-Index“ investiert. Der Long-Short-Index hat aktuell auf der Long-Seite überhaupt keine Energierohstoffe, und alle sechs Energieträger auf der gleichgewichteten Short-Seite, genau wie der „Short-Index“. In der Summe ist der TRC somit bei Energieträgern untergewichtet (netto short).

Zusammenfassung:

  • Die meisten Finanzprodukte sind längst nicht mehr im WTI Mai-2020-Kontrakt investiert. Die meisten Zertifikate bzw. Ölindices oder auch Fonds werden aufgrund dieser Bewegung nicht „negativ“.
  • Der Ölmarkt ist aktuell extrem überversorgt.
  • Damit sind die Ölkurven in Contango, d.h. beim Rollen in den nächsten Kontrakt entstehen teilweise hohe Rollverluste.
  • WTI ist ein „land locked“ (ein landgebundener) Kontrakt, verdammt weit weg vom Meer mit sich rasch füllenden Lagern….
  • Der TCO hat bis mindestens Anfang Juli nur ca. 10% Energierohstoffe in den März-2021-Kontrakten (je 5% Brent und Heizöl).
  • Der TRC ist aktuell bis mindestens Anfang Mai (und sehr wahrscheinlich auch im gesamten Monat Mai) „Energie et all“ short. 

Hier Informationen zu unserem Rohstoff-Fonds Tresides Commodity One und unserem Total-Return-Fonds Tresides Total Return Commodities basierend auf einem Long-Short-Rohstoffindex